Was wir feiern und warum: World AIDS Day

von Nana Tigges

In dieser Blogpost Reihe bitten wir unsere Teilnehmer*innen, darüber nachzudenken, warum bestimmte Tage für sie persönlich eine besondere Bedeutung haben und warum es für sie wichtig ist, diese Tage auf unterschiedliche Weise zu feiern.

Unsere Teilnehmerin Nana hat aus diesem Anlass einen Text über den Welt-AIDS-Tag verfasst, in dem sie mit uns ihre persönlichen Gedanken darüber teilt, wie man sich für von HIV/AIDS Betroffene einsetzt und ein Ally sein kann. In ihrem Text fordert sie uns auf, nicht zu vergessen, dass es trotz der Schwere des Themas in erster Linie um Menschen geht, um Individuen mit ihren eigenen persönlichen Geschichten, Herausforderungen und Kämpfen.

Der 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag

Seit 1988 wird jedes Jahr am 1. Dezember der Welt-Aids-Tag begangen. Initiiert wurde der Aktionstag vom Globalen Aids-Programm der WHO (heute UNAIDS), um die öffentliche Aufmerksamkeit auf die weltweite AIDS-Pandemie zu lenken, die zu dem Zeitpunkt bereits zahlreiche Menschenleben gekostet hatte. Insofern war er von Anfang an auch als Gedenktag an all die Menschen konzipiert, die an den Folgen der Immunschwächekrankheit verstorben waren. Ihre Zahl ist in den letzten Jahrzehnten auf mehrere Millionen angestiegen.

Kein Zweifel, beide Anliegen sind wichtig, beide sinnvoll. Nur kommen sie einander in der Praxis gewissermaßen ins Gehege, stehen sich im Wege. Das hat meines Erachtens damit zu tun, dass die öffentliche Aufmerksamkeit des Welt-Aids-Tag gesamtgesellschaftlich, vonseiten der Gesundheitsbehörden und vonseiten der Medien, in erster Linie für Kampagnen der gesundheitlichen Aufklärung genutzt wird, um über Präventionsmaßnahmen und Safer-Sex-Praktiken zu informieren. Dagegen ist natürlich an sich überhaupt nichts einzuwenden. Bloß ist HIV/AIDS nicht hauptsächlich und schon gar nicht ausschließlich ein gesundheitliches Problem, sondern vielmehr und vor allem ein politisches. Angesichts der Aufmerksamkeitskonkurrenz, die für Anliegen gesellschaftlich marginalisierter Gruppen gilt, ist daher kritisch zu prüfen, von wem, worüber und mit wem gesprochen werden sollte in dem Raum, den der hegemoniale Diskurs einer so komplexen und wichtigen Debatte wie der HIV/AIDS-Politik „zugesteht“.

Ein symbolischer Ausdruck dieses Spannungsverhältnisses zwischen Aktions- und Gedenktag ist für mich, dass alljährlich am 1. Dezember in den Fußgängerzonen deutscher Städte Menschen mit roten Schleifen (das Zeichen der Solidarität mit HIV/AIDS-Kranken) kostenlose Kondome verteilen. Eine auf den ersten Blick freundliche und unschuldige Geste, die mir aber ein mulmiges Gefühl macht. Wie soll das zusammenpassen: unverbrüchliche Solidarisierung mit Menschen, die aufgrund ihrer HIV-Infektion unter gesellschaftlicher Stigmatisierung zu leiden haben einerseits, andererseits die (zumindest implizit verbreitete) Botschaft, dass eine Ansteckung für alle (noch) nicht vom Virus Infizierten um jeden Preis zu vermeiden sei?

Die ersten Lektionen über aktive Solidarisierung („allyship“) brachte HIV/AIDS mir bei, lange bevor ich den Begriff zum ersten Mal gehört, geschweige denn begonnen hatte, mich mit dem Konzept dahinter auseinanderzusetzen. Als Kind eines infizierten Elternteils, für den Diskriminierungserfahrungen zum Alltag gehörte, lernte ich früh, dass eine AIDS-Infektion im Unterschied zu vielen Krankheiten bei anderen Menschen nicht so sehr auf Mitgefühl stößt, als vielmehr Angst, Schuldzuweisungen und Abscheu auslöst. Weil mein Elternteil fürchtete, ich könne wegen seiner/ihrer Infektion ebenfalls diskriminiert werden, wurde mir oft gesagt, ich solle lieber so tun, als wüsste ich gar nicht, was HIV/AIDS eigentlich ist. Aber das hielt mich nicht vom „childsplaining“ ab, wenn ich merkte, dass Leute falsche Vorstellungen über HIV/AIDS hatten. Meistens ging es dabei um unbegründete Ängste vor Übertragungsrisiken, aber in meiner kindlichen Art versuchte ich ihnen auch klarzumachen, dass Menschen, nicht „Schwule“, „Junkies“ oder „Schwarze“ von der Virusinfektion HIV/AIDS betroffen sind. Leider sind auch heute noch jede Menge falsche Vorstellungen in Umlauf, ich führe also immer noch Gespräche. Etwa in meinem Bekanntenkreis, wo die größte Angst in Bezug auf Sex mit jemand Fremden ist, man könne sich dabei HIV „holen“, ganz unabhängig von der eigenen Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Orientierung, den ausgeübten Sexualpraktiken und anderen objektiven persönlichen Risikofaktoren usw. (Vor einer Ansteckung mit Chlamydien, Hepatitis, Herpes etc. haben dieselben Leute meist deutlich weniger Angst.)

Andere Probleme im Umgang mit der Infektion sind noch viel größer: fehlender oder unzureichender Zugang zu antiretroviralen Medikamenten, zu (reproduktiver) Gesundheitsversorgung und Unterstützungssystemen, vor allem in Ländern des globalen Südens. Diskriminierung, Queerphobie, Rassismus, Stigmatisierung und Hassverbrechen. Schmerz und Trauer um den Verlust geliebter Menschen, Depression und Schuldgefühle der Überlebenden. Mangelnde Sichtbarkeit und Repräsentation. Größere Angst und höhere Vulnerabilität, insbesondere angesichts der fortwährenden COVID-19-Krise und anderer Pandemien. Die Liste ließe sich fortführen.

Gibt es also überhaupt etwas zu feiern? Sehr viel sogar.

Zunächst einmal sollten wir alle Aktivist*innen/Menschen mit HIV/AIDS feiern, die sich seit Jahrzehnten dafür einsetzen, das Leben in ihren/unseren Gemeinschaften zum Besseren zu verändern. Sie haben sich weltweit an Protesten gegen reaktionäre, repressive oder unkooperative Regierungen und Pharmaunternehmen beteiligt, Aufklärungsarbeit geleistet und Spenden gesammelt, aber auch alternative Unterstützungsstrukturen zur Pflege oder Trauerbegleitung etc. aufgebaut. Sie haben sich dem Kampf gegen offensichtliche und weniger offensichtliche Diskriminierung und Ablehnung gestellt und ihn bestanden.

Natürlich sollten wir am 1. Dezember auch all der Menschen gedenken, die an den Folgen von HIV/AIDS gestorben sind. Aber dabei sollten wir auch ihr Leben in Erinnerung behalten und feiern, ihre Taten, Ideen, Geschichten und Kämpfe. Und wir sollten all jenen zuhören, die noch unter uns sind, und dafür sorgen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht auf Diskriminierung beruht, sondern auf dem Prinzip der Fürsorge und Solidarität.

Wie aktive Solidarität mit Menschen, die HIV/AIDS haben, aussehen könnte, darauf habe ich immer noch keine abschließenden Antworten.

Aber hier einige Vorschläge, wie man am Welt-Aids-Tag (und natürlich nicht nur an diesem, sondern auch an jedem anderen Tag) zum*zur Verbündeten werden könnte:

  • Sich informieren über die Arbeit von AIDS-Aktivist*innen, vor allem auch mit den Kämpfen in den Ländern des globalen Südens
  • Spenden an Bündnisse/NGOs, die sich für die selbst definierten Belange von Menschen mit HIV/AIDS einsetzen
  • Den fantastischen Dokumentarfilm „Fire in the Blood“ (2013, Dylan Mohan Gray) über den Kampf um den weltweiten Zugang zu erschwinglichen antiretroviralen Medikamenten anschauen

 

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