Mit dem Aschermittwoch beginnt für Christ_innen die 40-tägige Fastenzeit. In den reformatorischen Kirchen ist hierfür der Begriff Passionszeit gebräuchlich. In der römisch-katholischen Kirche wird seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch die Bezeichnung österliche Bußzeit verwendet. Die orthodoxen Kirchen nennen sie die heilige und große Fastenzeit, kennen daneben aber noch drei weitere längere Fastenzeiten.
Christ_innen erinnern sich in den Wochen vor Karfreitag an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, auf die Botschaft von der Auferstehung. Biblischer Hintergrund für die Festsetzung der Fastenzeit auf 40 Tage und Nächte ist das ebenfalls vierzigtägige Fasten Jesu in der Wüste. Die Fastenzeit beginnt mit dem Aschermittwoch und endet in der Osternacht von Karsamstag auf Ostersonntag. Kalendarisch dauert die Fastenzeit allerdings länger als 40 Tage, weil man die Sonntage als Feiertage vom Fasten und Büßen ausgenommen hat.
Julia Winterboer, Teilnehmerin der Dialogperspektiven aus dem Programmjahr 2015/16 reflektiert ihr Fasten-Ritual so:
Warum freiwillig auf etwas verzichten, das ich liebe oder gerne mag?
Das war die Frage, die ich mir bereits als Kind stellte, als ich in der Fastenzeit vor Ostern auf Süßigkeiten verzichten sollte. Zwangsläufig scheiterte ich immer an diesem Vorsatz, alleine schon, weil mein Geburtstag in dieser Zeit lag. Hartnäckig versuchte ich es dennoch jedes Jahr auf‘s Neue, als sei es etwas, dass man unbedingt „schaffen müsse“. Bis ich es als Jugendliche aufgab.
Erst als junge Erwachsene näherte ich mich diesem Ritual wieder an. Mich interessierte, was es eigentlich bedeutet, zu verzichten. Besonders in einem Land, in dem Fülle und Verfügbarkeit als Selbstverständlichkeit hingenommen werden.
Seither mache ich die Erfahrung, dass dieser selbstgewählte Verzicht, zum Beispiel auf Süßigkeiten, Kaffee oder die Nutzung sozialer Medien, mir einen anderen Reichtum schenkt. Der Verzicht stellt in Frage, was ich sonst als alltäglich wahrnehme. Als ich Süßigkeiten fastete, erlebte ich die Süße von Früchten neu. Als ich keinen Kaffee mehr trank, sorgte ich mich mehr um Schlaf und war ausgeruhter. Statt Zeit in sozialen Medien zu vertrödeln, nahm ich bewusster wahr, was um mich herum geschah. Durch diesen freigewählten Verzicht erlebte ich Fülle.
Letztes Jahr pilgerte ich mit einer muslimischen Freundin auf den Spuren von Franz von Assisi. Dieser Heilige stellt die Armut ins Zentrum. Sein Weg war sehr radikal, doch dieser Gedanke, dass im Verzicht eine andere Lebensfülle steckt, der wird mir immer wichtiger. Es ist mehr als nur ein geistlicher Gedanke, er stellt die Frage nach einem guten, erfüllten und nachhaltigen Leben, das durch Einfachheit geprägt ist und sich daran erfreut. Gesellschaftlich gesehen scheint es die Erzählung zu geben, dass „mehr“ immer gleichbedeutend mit mehr Glück oder Erfülltheit ist. Fasten bedeutet für mich die paradoxe Erfahrung zu machen, dass es genau umgekehrt ist.
Im katholischen Ritus beginnen wir die Fastenzeit mit dem Aschekreuz, das auf die Stirn mit den Worten „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“ gezeichnet wird. Für mich ist das eine Bewusstwerdung, mich auf das zu beziehen, was wirklich für mein Leben wichtig ist und es ist eine Erinnerung an meine Sterblichkeit, meine Begrenzungen, die auch zu meinem Mensch-Sein dazugehören. 40 Tage sind eine lange Zeit. Und Rückschläge gehören (immer noch) dazu. Doch währenddessen und am Ende dieser Zeit, erlebe ich, warum es sich lohnt.
Julia Winterboer ist Dialogperspektiven-Alumna und Teilnehmerin unseres Programms der ersten Generation. Sie studierte Deutsche Philologie und Ethik sowie im Master Religion und Kultur in Berlin. Julia Winterboer ist seit 2016 Referentin für Bildung, Soziales und Kultur der Katholischen Hochschulgemeinde Bielefeld.
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