Rückblick: Sieben Stationen der Vielfalt – Dialogperpsektiven bei der Langen Nacht der Ideen 2019

Die Dialogperspektiven beteiligten sich auf Einladung des Auswärtigen Amtes an der Langen Nacht der Ideen zum Thema „Idee und Ideal-Europa“. Im Kirchenschiff der St. Marienkirche in Berlin-Mitte luden Sieben Stationen der Vielfalt zur interaktiven und partizipativen Auseinandersetzung mit Religionen und Weltanschauungen ein. Themen der Stationen waren u. a. „Wessen Abendland? Vielfaltsverteidigung in Deutschland und Europa“, „Und die Frau ist um des Mannes willen geschaffen – Geschlechtergerechtigkeiten?“ oder „Facts oder Fake News: Religiöse und weltanschauliche Positionen im Kampf um ‚die Wahrheit‘“.

Maximiliane Linde berichtet:

„Die letzten Klänge der Orgel hallen noch durch den Raum, als wir am Nachmittag des 6. Juni 2019 die St. Marienkirche in Berlin-Mitte betreten. Für diesen Abend wird die Kirche Schauplatz des interreligiösen und weltanschaulichen Dialogs, der gesellschaftlichen Vielfalt und der Diskurse um das Zusammenspiel von Religion und Politik sein. Die Dialogperspektiven beteiligten sich an der Langen Nacht der Ideen des Auswärtigen Amtes, welche zum Ziel hat, die Bandbreite der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik abzubilden. Dass die religiöse und gesellschaftliche Vielfalt im Rahmen einer großen Veranstaltung als wichtiges Element der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik präsentiert wird, ist ein deutliches Zeichen für die enorme Relevanz des Themas. Für die Dialogperspektiven ist die Konzipierung einer eigenen Veranstaltung im Rahmen der Langen Nacht eine wichtige Möglichkeit unsere Positionen und die Positionen der Teilnehmenden darzustellen und für eine plurale und offene, europäische Gesellschaft einzutreten. Nicht zuletzt im Jahr der Europawahl, in der Parteien auf dem Vormarsch sind, welche die freie Gesellschaft in Gefahr bringen, die eine vielfältige Gesellschaft negieren, und bereits marginalisierte Gruppen noch weiter ins Abseits drängen wollen.

Mit Sieben Stationen Vielfalt: Religionen und Weltanschauungen im Gespräch betrachteten wir an sieben Stationen in Form von multimedialen und interdisziplinären Präsentationen Fragen, die in der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen entstehen, und zeigten das Potential für positive Veränderung auf, das aus der religiösen und weltanschaulichen Pluralität der europäischen Gesellschaft erwächst. Dazu haben ehemalige und aktuell Teilnehmende Stationen gestaltet, die eng mit tages- und gesellschaftspolitisch relevanten Thematiken verbunden waren und durch ihre teils provokanten Titel zur Diskussion mit den Besucher_innen anregen sollen. Die Gestaltung der Stationen war explizit darauf ausgelegt nicht nur Diskurse abzubilden, sondern die Besucher_innen auch aktiv zur Partizipation an diesen einzuladen und mit ihnen in Diskussionen zu kommen.“

An der Station „Und die Frau ist um des Mannes Willen geschaffen“ – Geschlechtergerechtigkeiten? zeigten wir die Meinungen von Ehemaligen, aktuell Teilnehmenden und Referent_Innen der Dialogperspektiven zu Geschlechtergerechtigkeit in Religionen und Weltanschauungen in Form kurzer Videos. Dazu gehörten unter anderem die feministische Auslegung religiöser Texte, die Instrumentalisierung von Religion zu politischen Zwecken und individuelle Gottesbilder, welche eine inklusive Haltung zu allen Geschlechtern abbilden. Gerade im Jahr der Europawahl, in der anti-feministische Inhalte von vielen Parteien europaweit propagiert werden, wurde an dieser Station viel diskutiert. Zudem zeigten wir unter dem Hashtag #herstory (anstelle von history) Geschichte aus einer feministischen Perspektive und bildeten weibliche Persönlichkeiten ab, welche in der Öffentlichkeit wenig besprochen werden, trotz ihrer enormen Wirkkraft in Religion und Politik. Auch aktuelle Diskurse, wie der Kirchenstreik katholischer Frauen („Maria 2.0“), wurden dargestellt und besprochen.

„…Und dann gibt’s halt auf die Fresse…“ Religionen und Weltanschauungen alsGewalt. Im wahrsten Sinne des Wortes für viele Menschen wohl eines der explosivsten Themen, welches besonders in der medialen Öffentlichkeit diskutiert wird, beispielsweise in Debatten um vermeintlich religiös motivierte Kriege. Mit der Station wollten wir zum Nachdenken anregen, inwiefern wir manche Religionen als gewaltbereiter betrachten als andere, welche Vorurteile über Religionen in Bezug auf Gewaltbereitschaft herrschen, und wie Religionen zur Legitimierung von Gewalt instrumentalisiert werden. Auch die eigentliche theologische Nähe vieler Religionen zu Gewaltverzicht und Frieden war Thema an dieser Station. Mit Hilfe von Texten und Audiodateien, die im Rahmen einer literarischen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Religion und Gewalt in einem Seminar der Dialogperspektiven entstanden sind, konnten viele der Diskussionen bereichert werden und ein Blick für die kritische Reflexion der gängigen Narrative um Religion und Gewalt geschaffen werden.

Was zum Teufel machen die denn da? Gebetspraxis und Spiritualität in Religionen und Weltanschauungen. Religiöse Praxis wirkt für Außenstehende oft befremdlich. Durch eine Darstellung diverser Praktiken, Feste und Riten, welche in unserer vielfältigen Gesellschaft Anwendung finden, wollten wir ein Zeichen setzen, um zur Normalisierung religiöser und spiritueller Praxis im öffentlichen Raum beizutragen. Neben Live-Rezitationen aus Koran und Torah, zeigten wir Videos von Teilnehmenden und Referent_Innen, welche ihre persönliche religiöse und spirituelle Praxis erläuterten und somit auch zur Sichtbarmachung intrareligiöser Vielfalt beitrugen. Viel Anklang fand außerdem der interreligiöse Kalender der Dialogperspektiven, welcher bereits eine Vielfalt an religiösen Festen, vor allem auch neben den monotheistischen, abrahamitischen, Religionen abbildet. Dennoch fanden unsere Besucher_Innen weitere Feste, welche in den nächsten Kalender inkludiert werden können.

Facts oder Fake News? Religiöse und weltanschauliche Positionen im Kampf um „die Wahrheit“. Religionen und Weltanschauungen spielen eine große Rolle, wenn es um alternative Fakten geht. Nicht nur sind sie oft der Bezugspunkt von Fake News, beispielsweise wenn die Religionsausübung Geflüchteter in Europa diskutiert wird, nein, es bestehen auch viele vermeintliche Wahrheiten über die Religionen selbst. Um aufzuzeigen, wie man dem entgegentreten kann, haben wir Threads aus Twitter zusammengestellt, in denen mit Fakten gegen Fake News argumentiert wird und so nicht nur zur Beseitigung von Unwahrheiten beigetragen wird, sondern auch die Relevanz von Partizipation am politischen Diskurs aufgezeigt wird. Außerdem konnten die Besucher_Innen eine Auswahl von Videos anschauen, welche unter anderem innerreligiöse Diskurse abbilden und allgemein über Religionen und Weltanschauungen aufklären, um alternativen Fakten zu widerlegen.

Twittert G-tt, oder ist er bei Snapchat? Mit Hilfe von iPads bildeten wir die Möglichkeiten ab, welche sich für Religionen und Weltanschauungen durch die Digitalisierung ergeben. Dazu gehören Apps zur Vereinfachung der religiösen Praxis, wie beispielsweise Apps mit Gebetszeiten, digitale Formen religiöser Texte, aber auch Datingapps, speziell für Menschen, die sich einer bestimmten Religion zugehörig fühlen. Zudem waren Podcasts zu religiösen und weltanschauulichen Themen und die Abbildung religiöser und politischer Debatten um Religionen und Weltanschauung im digitalen Raum, Thema an dieser Station. Die Besucher_Innen hatten viel Freude daran dieses digitale Angebot zu nutzen und mehr über die digitalen Möglichkeiten zu erfahren. Eine Antwort auf die Frage, ob G-tt nun twittert, Snapchat nutzt, oder vielleicht doch mittlerweile bei Instagram angelangt ist, haben wir leider nicht gefunden!

Wessen Abendland? Vielfaltsverteidigung in Deutschland und Europa – Vermutlich eine der kontroversesten und am meisten besuchten Stationen dieses Abends. Angelehnt an Debatten um eine sogenannte Leitkultur, ein vermeintlich „jüdisch-christliches“ Abendland und die Vereinnahmung von Diskursen um den Abendlandbegriff durch politische Gruppen zur Propagierung eigener Dominanz und Ausschluss anderer gesellschaftlichen Gruppen, wurde an dieser Station viel diskutiert. Mit Hilfe zwei großer Pinnwände gaben wir den Besucher_Innen die Möglichkeit, ihre Meinungen und Assoziationen zur Frage „Wessen Abendland?“ kund zu tun. Anstoß zur Diskussion gaben wir durch diverse Zitate, beispielsweise zur Kopftuch-Debatte oder der Diskussion um öffentliches Tragen von Kippot, Ausschnitten aus den Wahlprogrammen zur Europawahl der großen Parteien in Deutschland und Manifesten wie dem, der Gruppierung „Juden in der Afd“.

Kunst / Raum / Religionen. An dieser Station bereicherten zwei Künstler, welche im Rahmen der Dialogperspektiven und des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks aktiv sind, die Besucher_Innen durch ihre Werke. Gesprochen wurde über die Verbindung von Kunst und Religion und welchen Raum Kunst in politischen und religiösen Diskursen einnehmen kann und sollte. Außerdem haben wir uns angeschaut, welche religiösen Kulturstätten es im europäischen Raum gibt und welche Vielfalt dabei abgebildet wird. Julian Sagert und Navot Miller, die beiden Künstler, bereicherten den Abend außerdem mit einer Podiumsdiskussion zu „Kunst in Religion und Religion in Kunst?“

Neben den modularen Stationen, welche von den Besucher_Innen ohne bestimmte Reihenfolge oder Zeiteinschränkung besucht werden konnten, sorgte unser Programm im Altarbereich der St. Marienkirche für einen gelungenen Rahmen. So konnte man dort die Debatte zwischen Julian Sagert und Navot Miller der Station Kunst / Raum / Religionen verfolgen, der Lesung von Zehava Khalfa und Anna Shapira aus der aktuellen Ausgabe der „Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart“ über Kunst zuhören, etwas über die Verwandtheit des hebräischen Wortes karovund des arabischen Wortes qareebund den gleichnamigen jüdisch-muslimischen Think Tank von Rachel de Boor lernen, oder der musikalischen Darbietung von Barış Şahin auf dem Tembûr lauschen.

Trotz anhaltender Regengüsse und Sommergewitter konnten wir einige Besucher_Innen in der St. Marienkirche begrüßen und mit ihnen in einen Dialog über eine vielfältige Gesellschaft, und die Rolle von Religionen und Weltanschauungen in dieser, treten. Auch wir konnten durch die Gespräche viel lernen, und uns austauschen, wie  wir den Kampf um die offene Gesellschaft gewinnen können. Vielen Dank, an alle Besucher_Innen, aktuell Teilnehmende der Dialogperspektiven und Ehemalige, sowie alle weiteren Helfer_Innen, welche diesen Abend bereichert haben. Wir bedanken uns außerdem beim Auswärtigen Amt, welches uns erst die Möglichkeit eröffnet hat, den Dialog auf diese Weise zu begehen und uns zudem den ganzen Abend begleitet hat.

 




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