Ist ein gemeinsames Erinnern in Europa und nicht zuletzt in Deutschland überhaupt möglich, und wenn ja, auch wünschenswert? Hetty Berg verwies in ihrem Eingangsstatement auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen jüdischem Gedenken an die Shoah und staatlichem Gedenken bzw. dem Gedenken aus der Perspektive der Nachkommen der Täter*innen und betonte die Vielfältigkeit jüdischen Erinnerns.
Aladin El-Mafaalani unterstrich in seinem Beitrag die beträchtliche Aufholbewegung, die Deutschland als Migrationsgesellschaft gegenüber anderen pluralen Gesellschaften (etwa den USA und Großbritannien) gemacht habe, wobei er am Beispiel der Schulen eine immense Diskrepanz zwischen den Lehrplänen und der Diversität der Schüler*innen festmachte.
Esra Küçük hob derweil die Unmöglichkeit des singulären Erinnerns (auch staatlicherseits) in einer postmigrantischen Gesellschaft, die von mannigfaltigen Erinnerungsnarrativen geprägt sei, hervor. Die „gelebte Realität“ müsse dabei stärkeren Eingang in eine teilsweise tradierte Erinnerungsrhetorik finden.
Jo Frank schloss sich in seinem Statement der Analyse Küçüks an, in dem er betonte, dass „pluralistisches Erinnern bisherige Erinnerungskulturen nicht beendet oder ablöst. Pluralistisches Erinnern kann an tradierte Formen anknüpfen und durch pluralistische Perspektiven erweitern.“ Weiterhin argumentierte er, dass in einer Vervielfältigung staatlicher und gesellschaftlicher Erinnerung auch ein Schlüssel zur Überwindung der voranschreitenden Spaltung der deutschen und europäischen Gesellschaft liegen könnte. Dazu gehöre, dass „wir beispielsweise heute, am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der getöteten Jüdinnen und Juden gedenken und dass wir weitere Gruppen im Nationalsozialismus Ermordeter in unser Gedenken miteinschließen. Und zwar mit ihren Erinnerungsbedürfnissen. Hierin liegt eine Chance. Nämlich die, voneinander zu lernen, Erinnerung zu teilen, Erinnerungskulturen gemeinsam zu gestalten sowie Nähe und Verbundenheit zu erfahren.“
Die Panelist*innen, die im Laufe der Diskussion noch Zuwachs durch Sylvia Löhrmann (Generalsekretärin des Vereins 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland) bekamen, kamen in der insgesamt gut eineinhalbstündigen Diskussion zu dem Fazit, dass noch viel in diese Richtung zu tun sei. Die Pluralisierung – nicht die Partikularisierung – von Erinnerungskultur sowie die Forderung nach einer wachsenden gleichberechtigten Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen in der pluralen europäischen Gesellschaft, so machte es Jo Frank zum Schluss klar, bedürfe Zeit, Arbeit, eine entsprechende Gesetzgebung durch politische Organe und nicht zuletzt finanzieller Mittel für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Institutionen und Akteur*innen. Dialogperspektiven wird sich dieser Arbeit in den nächsten Jahren intensiv widmen und hofft auf Unterstützung und weitere Kooperationspartner*innen.
Das Video der Veranstaltung ist auf unserer Facebook-Seite abrufbar. Wir freuen uns, wie immer, über Kommentare und Anregungen!
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