Während der Konzeption des Seminars stand eine zentrale Rückmeldung der Teilnehmer*innen im Mittelpunkt: der Wunsch nach mehr Konkretisierung der Seminarthemen, von einer Problemanalyse hin zu Problembewältigung. Dementsprechend erarbeitete das Team in intensiver Zusammenarbeit mit zwei unserer Seminarleiter*innen, Maximiliane Linde und Neta-Paulina Wagner, ein methodisch-didaktisches Konzept mit aufeinander aufbauenden Seminarbausteinen, die einerseits die Fähigkeit zum Argumentieren und Verhandeln der eigenen Forderungen trainieren, gleichzeitig jedoch die Seminarteilnehmer*innen in intensiven Arbeitsphasen zusammenführen sollten. Zentrales Ziel dieses prozessualen Verfahrens war dabei das Erarbeiten, Verhandeln und Priorisieren einer Anzahl von konkreten Forderungen zur politischen, zivilgesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung und Implementierung der pluralistischen Realität der europäischen Gesellschaft.
Das Seminarprogramm bestand dementsprechend aus unterschiedlichen, auf einander aufbauenden und methodisch-vielfältigen Formaten: aus Panel-Diskussionen, Reflexionsrunden, angeleiteten gruppeninternen Arbeitsphasen, religiös-weltanschaulicher Praxis sowie informellen Formaten für Begegnungen, Gespräche und Diskussionen auf der Plattform Wonder.me.
Die Seminar-Tage (10. – 14. März 2021)
Zur Begrüßung der Teilnehmer*innen und inhaltlichen Einführung durch die Projektleiterin, Johanna Korneli, gemeinsam mit den Projektreferent*innen Rachel de Boor und Gil Shohat am Mittag des 10. März wurden unter anderem die fünf zentralen Leitfragen für das Seminar vorgestellt:
Es folge ein Grußwort des Direktors der Luxembourg School of Religion and Society, Prof. Dr. Dr. Jean Ehret. Darin betonte er den weiter bestehenden Wunsch, die Zusammenarbeit zwischen der School und den Dialogperspektiven weiter auszubauen und äußerte zudem seine Vorfreude auf den Moment, an dem das Team mit den Teilnehmer*innen endlich die Exkursion nach Luxemburg wird realisieren können.
Der Nachmittag des 10. März wurde direkt produktiv genutzt mit einem Input-Vortrag von Maximiliane Linde und Neta-Paulina Wagner, in dem sie die Bedeutung des aktuellen gesellschaftspolitischen Moments als eine critical juncture definierten, die Raum für politische Veränderungen öffne, jedoch nur, wenn die Akteur*innen diese Chance auch aktiv nutzten. Davon ausgehend startete eine „Fish Bowl“ Diskussion, in der die Teilnehmer*innen im Wechsel zu dieser Thematik diskutieren konnten.
Um den Teilnehmer*innen auch im digitalen Raum die Kontinuität aus dem Herbstseminar zu ermöglichen, kamen sie im darauffolgenden Block mit ihren Workshopleiter*innen aus dem Herbst (Dr. Alexander Graeff, Prof. Dr. Frederek Musall, Neta-Paulina Wagner, Maximiliane Linde und Gil Shohat) zusammen, um einen Bogen zu schlagen von den im Herbst besprochenen Themen zum aktuellen Seminarthema.
Der erste Seminartag endete mit einem Rollenspiel in Breakout Rooms, in dem die Teilnehmenden das Formulieren von Argumenten aus einer ihnen zuvor fest zugeteilten Position (von Utopist*in bis Pessimist*in) einüben sollten, auch wenn diese Position explizit nicht die Ihrige war. Diese Übung diente der Schärfung der eigenen Argumentationstechniken im Hinblick auf die Formulierung eigener Positionen im vielstimmigen Diskurs.
Der zweite Seminartag (11. März) startete mit von Teilnehmer*innen vorbereiten religiös-weltanschaulichen und spirituellen Morgenimpulsen auf der Plattform Wonder.me – zur Lailat Al-Miraj (der Himmelsreise Mohammads), zu unterschiedlichen Traditionen des Osterfests, zu Achtsamkeitsübungen oder kreativen Prozessen.
Unter dem Titel Postcolonial Perspectives on Europe post-Covid 19 diskutierten im Rahmen des ersten von zwei Panels Armelle Chatelier (Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei, Frankreich), Nadja Ofuatey-Alazard (Each One Teach One e.V., Deutschland) sowie Dr. Cátia Severino (Djass – Vereinigung der Nachkommen Schwarzer Portugies*innen, Portugal), moderiert von Dialogperspektiven-Projektreferent Gil Shohat, über das koloniale Erbe Frankreichs, Portugals und Deutschlands sowie über europäische Perspektiven eines pluralistischen Erinnerns an Sklaverei und Kolonialismus im Lichte des heute gegenwärtigen Rassismus. Während einerseits die Kontinuitäten rassistischer Diskurse und Praktiken aus der Zeit der Sklaverei betont wurden, zeigten etwa die Etablierung eines zentralen Gedenkortes zur Erinnerung an die Sklaverei in Lissabon sowie ähnliche Bestrebungen und Sichtbarmachungen zum Thema Sklaverei und Kolonialismus in Frankreich und Deutschland, dass sich gerade etwas im erinnerungspolitischen Diskurs bewegt. Betont wurde zudem die Notwendigkeit der Zusammenführung länderspezifischer Kampagnen auf europäischer Ebene – schließlich seien Kolonialismus und Sklaverei ebenfalls gesamteuropäische Projekte mit transnationalen Verflechtungen gewesen.
Nach einer internen Fortsetzung der Diskussion zum Thema des Panels in Kleingruppen, folgte eine von Kristina Schneider angeleitete Reflexionseinheit zu gesellschaftlichen Privilegien und Machtstrukturen, bei der die Teilnehmer*innen eigene Positionierungen und Ambivalenzen analysierten und diskutierten. Dabei wurde auch mit dem Umfrage-System Menti gearbeitet, um die Positionen der Teilnehmer*innen möglichst detailliert und anonym berücksichtigen zu können.
Den Abschluss des zweiten Seminartags bildete ein gemeinsamer Impuls zur Bedeutung von Hoffnung und Zuversicht in Krisenzeiten durch die religiösen Begleiter*innen Dr. Ayse Basol, Pfarrerin Dr. Kerstin Söderblom und Rabbiner Maximilian Feldhake. Einige unserer Teilnehmer*innen setzten ihre informellen Gespräche bis tief in die Nacht hinein fort und schafften somit auch im digitalen Raum eine Art gemeinschaftliches Erlebnis.
Der dritte Seminartag (12. März) stand ganz im Zeichen der Themen Feminismus und Intersektionalität. Den Auftakt bildete das zweite, hochkarätig besetzte Panel zum Thema Intersectional Perspectives on Feminism and Gender in European Societies. Moderiert von Maximiliane Linde (Freie Universität Berlin) diskutierten Prof. Andrea Pető (Zentraleuropäische Universität, Österreich) Taya Hanauer-Rechavia (Justus-Liebig-Universität Gießen/Deutschland), Dr. Lana Sirri (Universität Maastricht/Niederlande), JJ Bola (Autor und Lyriker, London/England) sowie Julia Winterboer (Katholische Hochschulgemeinde Bielefeld/Deutschland). Nach einer Bestandsaufnahme drängender aktueller Problemfelder feministischer Diskurse im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, diskutierten die Panelist*innen u.a. über die Bedeutung des Konzepts der Intersektionalität für feministische Diskurse und Debatten und daran anschließend die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Aktivismus und Möglichkeiten von Synergieeffekten im Kampf für eine gendergerechte Gesellschaft.
Unter dem Titel „Find your demand“ begannen die Teilnehmer*innen in Kleingruppen mit der Formulierung konkreter Forderungen für die europäische Gesellschaft nach Corona, die als Grundlage für die weitere Arbeit dienen. Diese Fragen dienten als Rahmen der Session:
Höhepunkte der religiösen Praxis am Freitag (#djummahmubarakshabbatshalom) waren die von Teilnehmer*innen vorbereitete Einheit zum islamischen Freitagsgebet mit einer Erzählung über Salmān al-Fārisī und einer Rezitation der Sure 18 sowie das gemeinsame Kerzenzünden zum Shabbat, angeleitet von Rabbiner Feldhake, zu dem Teilnehmer*innen über Shabbattraditionen berichteten.
Der Shabbat stand dann ganz im Zeichen der digitalen Ruhe, die der eigenständigen Reflektion der intensiven Seminargespräche dienen sollte. Mit frischen Köpfen kamen die Teilnehmer*innen nach Ende des Shabbats am Samstag Abend zusammen, um nun die am Tag zuvor formulierten und festgehaltenen politischen Forderungen nach mehr Partizipation, Pluralitätskompetenz und Anerkennung religiös/weltanschaulicher Diversität in Gruppen zu diskutieren und – in Anlehnung an die Bausteine des ersten Seminartages – pragmatisch und in einem gemeinsamen Aushandlungsprozess hinsichtlich ihrer Dringlichkeit, aber auch der politischen Implementierung zu gewichten. Dabei wurde deutlich, dass die Arbeit der Gruppe während der Seminartage in erster Linie als Startpunkt eines kontinuierlichen Arbeitsprozesses zu verstehen ist, der sich über den Zeitraum des gesamten Programms erstreckt und dessen Ergebnisse zur Internationalen Konferenz im Juni sichtbar gemacht werden sollen.
Über die Möglichkeiten, diesen Weg gemeinsam zu gehen, wurde schließlich zum Abschluss des Seminars am Sonntag (14. März) – im Anschluss an eine gemeinsame ökumenische Andacht unter der Leitung von Pfarrerin Dr. Kerstin Söderblom und unter Mitwirkung der Teilnehemer*innen – diskutiert. Dabei spielten vor allem die Möglichkeit der Einrichtung gemeinsamer Arbeitsgruppen zu im Arbeitsprozess identifizierten Themenbereichen, in denen die Teilnehmer*innen auch zwischen den Seminaren an ihren Forderungen arbeiten können, eine große Rolle. Dies könnte etwa im Rahmen unserer monatlichen digitalen Treffen zwischen den Seminaren passieren. Gleichzeitig wies das Dialogperspektiven-Team auf weitere, bereits im Rahmen des Programms vorhandene, Möglichkeiten der Einbringung der Teilnehmenden jenseits der Seminarveranstaltungen hin. Genannt seien hier exemplarisch etwa der im November 2020 initiierte Blog This Is Us – Insights from Our Participants. Dort haben bereits einige Teilnehmer*innen Einblicke in ihre Forschungsprojekte, aktivistische oder religiöse Arbeit gegeben.
Abgeschlossen wurde das Seminar mit einer weiteren Reflexionseinheit unter der Leitung von Kristina Schneider, verbunden mit einem Ausblick auf die kommenden Monate.
Ein herzlicher Dank geht an die Seminarleiter*innen und religiösen Begleiter*innen und natürlich an unsere Teilnehmer*innen für Ihr Engagement und ihre zahlreichen Beiträge!
Nach dem Frühjahrsseminar ist also vor der Sommerkonferenz – wir freuen uns auf die nächsten gemeinsamen Schritte mit unseren Teilnehmer*innen sowie darauf, diese mit Ihnen zu teilen!
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