Die Lange Nacht der Ideen des Auswärtigen Amtes fand am 19. Juli 2020 bereits zum fünften Mal statt. Zum ersten Mal allerdings in diesem Jahr komplett im virtuellen Raum. Die #LNDI2020 stand unter dem Motto „Kulturen der Zukunft – Zukunft der Kulturen“ und beschäftigte sich dabei auch insbesondere mit der Rolle von Kultur in Krisenzeiten. Staatsministerin Michelle Müntefering betonte in Ihrer Ansprache zur #LNDI2020 die Wichtigkeit internationaler Kulturprojekte während dieser einzigartigen Krise, die Möglichkeiten digitaler Formate und die grenzüberwindende Kraft der Kultur.
Dabei bestätigt Sie und das Auswärtige Amt auch die Devise der Dialogperspektiven: Social Distancing darf nicht wörtlich genommen werden. Solidarität, gemeinschaftliches Zusammenarbeiten und menschlicher Kontakt im digitalen Raum sind insbesondere während dieser Krise wichtig!
Die Lange Nacht der Ideen ist eine Teamarbeit des Auswärtigen Amts, seiner Mittlerorganisationen sowie weiterer starker Partner aus Zivilgesellschaft, Forschungs- und Wissenschafts-organisationen sowie privaten Stiftungen. Das Ziel der Veranstaltung ist es, unter anderem, die unterschiedlichen Facetten und Themen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und ihre Mittlerorganisationen der Gesellschaft zugänglich zu machen.
Die Dialogperspektiven hatten nun bereits zum zweiten Mal die Möglichkeit eine Veranstaltung im Rahmen der Langen Nacht der Ideen des Auswärtigen Amtes auszurichten. Nachdem wir im vergangenen Jahr bis tief in die Nacht mit unseren Besucher*innen über die Verteidigung von Vielfalt, Geschlechtergerechtigkeit und Fake News gesprochen haben drehte sich am 19. Juni 2020 alles um Europa und ihre pluralistischen Gewässer.
Europa ist ein Ort der Vielfalt, ein Raum der Möglichkeiten und der gesellschaftlichen Zusammenarbeit. Der religiös-weltanschauliche Pluralismus Europas hat dabei die Vorstellung einer einheitlichen nationalen oder religiösen Homogenität längst überholt. Gleichzeitig ist Europa geprägt von politischer Fragmentierung und Polarisierung, erstarkendem Nationalismus und der Abwehr alternativer Lebensentwürfe.
Pluralisierung bedeutet nicht nur Vermehrung und Ausdifferenzierung von Identitäten, sondern auch Stärkung religiös-weltanschaulicher Gemeinschaften. In den vielfältigen Gemeinschaften Europas werden längst nicht mehr nur Fragen nach Integration gestellt, sondern kritisches Selbstbewusstsein erprobt, gesellschaftliche Teilhabe eingefordert und an den öffentlichen Diskursen partizipiert. Welche Rolle Religionen und Weltanschauungen in der Gestaltung europäischer Gesellschaft einnehmen können, ist dabei ein Aushandlungsprozess, der eben diese gesellschaftliche Pluralität widerspiegeln muss und der gerade auch die einschließen muss, die z.B. nicht religiös identifiziert sind.
Mit Hilfe verschiedener Formate und unter intensiver Beteiligung der Teilnehmer*innen der Dialogperspektiven, widmeten wir uns während der #LNDI2020 drängenden Fragen von Pluralität, politischer Teilhabe, Allianzen und gemeinsamer, inklusiver Gestaltung unserer Lebenswelten trotz – oder gerade wegen – der Ambivalenzen und Interdependenzen sprachlicher, religiös-weltanschaulicher und politischer Vielfalt.
Wir läuteten den Abend mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Religion – Sprache – Gesellschaft“ ein. Autorin und Aktivistin Kübra Gümüşay („Sprache und Sein“), diskutierte mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90 / Die Grünen), und dem Lyriker und Autor Max Czollek („Desintegriert euch!“). Jo Frank, Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, führte durch das Gespräch. Gemeinsam diskutierten sie, wie Sprache Wirklichkeit abbildet und Realität schafft und inwiefern Sprache die Gesellschaft formen kann.
Nach viel zu knapper Diskussionszeit kamen anschließend unsere Teilnehmer*innen zu Wort. Wir haben Teilnehmer*innen und Alumni*ae nach ihren Perspektiven auf Europa und dem Begriff europäischer Identität gefragt. Dahinter steht immer die Frage: Kann es trotz Europas pluralistischer Gewässer so etwas wie eine gemeinsame europäische Identität geben? Und weiter gefragt: Braucht es das Konzept von kollektiver Identität überhaupt um gemeinsame Visionen, Ziele und Handlungsgrundlagen formulieren und realisieren zu können? Unsere Teilnehmer*innen und Alumni*ae sind vielfältig, in jeder Hinsicht. In ihren Videobeiträgen zeigen sie, dass die Antworten auf Fragen nach Europa & europäischer Identität so vielfältig sind, wie es auch die Menschen in Europa sind. Die Videobeiträge können auch auf unserer Website eingesehen werden.
Einen gänzlich anderen Blick auf die Thematik des Abends gaben uns dann die Künstler*innen Beatrix von Schrader und Dieter Puntigam. Sie arbeiten in ihrer Performance-Kunst mit den Werkzeugen des Tanzes und dem tagtool und lassen in ihrer Performance die religiös-weltanschauliche, politische und gesellschaftliche Pluralität Europas sicht-, hör- und erlebbar werden. Sie zeichnen kreative, unkonventionelle und kontroverse Bilder und Momentaufnahmen und geben Denkanstöße für das Navigieren durch pluralistische Gewässer.
Anschließend widmeten wir uns dem zweiten Panel des Abends. Unter der Moderation von Iman Al Nassre, freie Referentin bei den Dialogperspektiven, diskutierten der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, Esra Küçük, Geschäftsführerin der Allianz Kulturstiftung, und Terry Reintke, Abgeordnete im Europaparlament für die Europäischen Grünen, über Pluralismus und politische Teilhabe in Europa. Wer ist Europa? Wer darf Europa gestalten? Wie wird Europa zu unserem Europa? Wollen wir das überhaupt? Was sind die Möglichkeiten und Grenzen politischer Teilhabe in einem pluralistischen Europa?
Auch dieses Panel war zeitlich zu knapp bemessen! Danach wagten wir einen Versuch um die Stimmen, Perspektiven und Expertisen unserer Teilnehmer*innen erfahrbar zu machen: wir wechselten den digitalen Raum und teilten unsere Besucher*innen in Breakout Rooms ein. Dort begegnen Sie den Teilnehmer*innen der Dialogperspektiven als Expert*innen für interreligiösen Dialog und gesamtgesellschaftliche Fragen. Die Kleingruppen sprachen unter anderem über Identität, Grenzen & Territorialität, Gender und Religion, globale und lokale Solidaritäten und Zugehörigkeitsverständnisse angesichts Debatten um „Leitkultur“ und „Abendland“. Auch diese Breakout Sessions können Sie auf unserer Website einsehen!
Anknüpfend an das Format „Abwarten und Tee trinken“ welches das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk während der Corona Pandemie ins Leben gerufen hat, zündeten wir gemeinsam mit Max Feldhake – pünktlich um 21.15 Uhr – die Kerzen zum Beginn des Schabbats. Max Feldhake ist Rabbinerstudent am Abraham Geiger Kolleg, ist religiöser Begleiter der Dialogperspektiven und arbeitet zudem seit Mai 2020 im Referat für Religion und Außenpolitik des Auswärtigen Amtes.
Den Abend beendeten wir mit einem DJ-Set von Daniel Laufer, Kurator des Künstler*innenprogramms DAGESH des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, und Alex Stolze, Geiger, Songwriter und Produzent, und ließen so den vierstündigen Austausch über das Navigieren durch die pluralistischen Gewässer Europas ausklingen.
Wir danken allen, die uns in der Konzeption und Umsetzung dieser Veranstaltung geholfen haben! Und ein ebenso großes Dankeschön an alle Zuschauer*innen, die unsere Veranstaltung durch ihre Kommentare bereichert haben. Wir freuen uns, wenn wir die Diskussionen an anderer Stelle fortsetzen können!
Wir möchten uns noch einmal ganz herzlich bei allen Gästen und Mitwirkenden des Abends bedanken, bei: Kübra Gümüsay, Claudia Roth, Max Czollek, Terry Reintke, Esra Kücük, Staatsminister Michael Roth, Iman Al Nassre, Jo Frank, Neta-Paulina Wagner, Nasim Gambarov, Angela Pape, Simon Stromer, Thao Tran, Marco Schendel, Ezgy Aydinlik, Gil Shohat, Dora Laborczi, Azra Koyuncu, Anile Tmava, Thalia Rahme, Nuriani Hamdan, Anthony SSembatya, Svea Schnaars, Mariusz Muszcynski, Larissa Zeigerer, Felix Leininger, Julian Sagert, Sonya Ouertani, Hussam Alcha‘ar, Nastasja Penzar, Maximilian Priebe, Mohammed Ibrahim, Gal Yaron Mayersohn, Bea von Schrader, Dieter Puntigam, Alex Stolze, Daniel Laufer, das ganze Team der Dialogperspektiven, die ELES-Kolleg*innen, besonders Adrian Fiedler, Rachel Lichtenauer, Stephanie Haerdle, Konstantin Seidler, Dominik Ziller, Alexander von Falkenhausen, Kevin Nagel, Regina Prokopetz, Oya Ataman, Sabine Bausch, Katharina Cordts, Marcus Savaria, Katharina Hofbauer, Verena Zeiner und Daphne von Schrader.
Außerdem ein herzlicher Dank an unsere Förderer*innen, ganz besonders an das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
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