Mein Name ist Barış, ich bin 22 Jahre alt und Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Geprägt durch Angst und Repressalien vor der sunnitisch-türkischen Mehrheitsbevölkerung, floh mein Vater über Frankreich nach Deutschland, in der Hoffnung, seine als Häresie bezeichnete Religion ausleben zu können. In einer Stadt, welche einen beachtlichen Migrant_innenanteil aufweist, fühlte ich, damals 14 Jahre alt und alevitisch und kurdisch, den Unterschied der Kulturen und der Religionen.
Die Zeit eines jeden Aleviten in der Diaspora, welche die meisten Fragen aufwirft, ist die Identitätskrise im Jugendalter. Als Mitglied einer illiterarischen Religionsgemeinschaft wird es zur Selbstverständlichkeit, sich selbst per ex negativo definieren zu wollen. Ein Irrweg, dem mit Hilfe wissenschaftlicher Recherchen entkommen werden kann. So ist es schöner, die eigenen Werte selbst definiert erläutern zu können:
Das Alevitentum ist eine humanistische Lehre. Die Gleichstellung der Geschlechter, Naturverbundenheit, Toleranz, Weltoffenheit, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft sind Kernelemente des alevitischen Glaubens. Das Alevitentum als zeitgenössischer “Weg” (türk. yol, kurdisch rê) steht stets auch im Einklang mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Im Zentrum der alevitischen Lehre steht der Mensch, da in jedem Menschen und dem Kosmos die “göttliche Wahrheit” verborgen liegt. Der tiefsinnige humanistische Kern dieses Glaubens wird in den Worten des Gelehrten Hünkar Bektaş Veli (13. Jh.) deutlich, wenn er schreibt:
„Andere haben die Kaaba, meine Kaaba ist der Mensch, sowohl Erschaffender, als auch Erlöser, ist der Mensch, die Menschheit selbst.“
Weil für die eigenständige Religionsgemeinschaft der Aleviten alles göttlich ist, kann „Gott“ in der gesamten Natur und im eigenen Selbst aufgespürt werden. Erst durch die Aufklärung meiner selbst, eröffnet sich Tür für den allgegenwärtigen Diskurs und den interreligösen Dialog. Der Mensch wird in der alevitischen Lehre in einem holistischen Verständnis nicht sichtlich von seiner umgebenden Natur differenziert. So ist der aktiv Austausch und die Demut vor dem Gegenüberstehenden eine wichtige Tugend der alevitischen Wertvorstellung.
Besonders in meiner ehrenamtlichen Arbeit als Generalsekretär des Bundes der Alevitischen Studierenden lege ich Wert auf den interreligösen Dialog, um in einer Welt, die von Vorurteilen gegenüber jeglicher Religionsgemeinschaft scheinbar dominiert wird, ein Bündnis gegen antidemokratische und menschenverachtende Denkweisen aufzubauen. Ganz besonders der Austausch mit der jüdischen Gemeinde liegt mir persönlich sehr am Herzen.
Einen Beitrag dafür leisten zu dürfen in einem solchen Programm wie den Dialogperspektiven, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Gemeinschaften und Traditionen aufzuarbeiten, zu besprechen und zu vermitteln, ist mir eine große Freude! Dieser gemeinsame Austausch soll den Grundstein für eine Zukunft legen, in der sich alle Religionsgemeinschaften für Respekt vor dem Anderen und ein demokratisches Miteinander einsetzen.
Auch durch mein Studiums möchte ich Unwissen mit Bildung begegnen. Gegenwärtig studiere ich an der Universität zu Köln auf Lehramt. Mein Verständnis des Lehramts als pädagogisches und bedeutendes Berufsfeld möchte ich mit den Worten Eugen Finks aus seinem Werk „Die Fragwürdigkeit des modernen Erziehers“ erklären. Dort schreibt er:
„Denn ‚erziehen‘ ist keine Tätigkeit neben vielen anderen Tätigkeiten, welche der Mensch bald so oder so ausübt. Menschliches Dasein ist immer im Element der Lehre; jeder ist jedem sein Lehrer des Lebens; jeder gibt jedem ein rechtes oder schlechtes Beispiel. Und nicht nur die Alten und Reifen erziehen die ungebärdigen und unmündigen Jungen; bisweilen vermag auch ein heiles Kind noch die Weisheit des Alters zu überholen – wie der Zwölfjährige die Schriftgelehrten im Tempel“
In diesem Sinne möchte ich alle Teilnehmer_Innen der Dialogperspektiven als meine Lehrenden bezeichnen.
˝The programme makes possible something that is all too rare in our society these days: speaking and having discussions across borders, not about each other, but with each other. That can be a hard slog at times, but at the same time the format makes space for follow-up questions and deeper conversations that are only possible through trust on all sides.
Felix, DialoguePerspectives alumnus