6. Februar: CommemorAction

Ein Gastbeitrag von Watch the Med - Alarmphone

„Mit dem Begriff ‚CommemorAction‘ geben wir ein doppeltes Versprechen: diejenigen nicht zu vergessen, die ihr Leben verloren haben, und gegen die Grenzen zu kämpfen, die sie getötet haben. Es ist ein Raum, um aus unserem Schmerz ein kollektives Gedächtnis aufzubauen. Wir sind nicht allein und wir werden nicht aufgeben. Wir werden weiterhin täglich für die Bewegungsfreiheit aller kämpfen, indem wir Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung für die Opfer von Migration und deren Familien einfordern.

Wir sind Verwandte und Freund:innen der Verstorbenen, der Vermissten und der Opfer des gewaltsamen Verschwindens entlang der Land- oder Seegrenzen, in Afrika, Amerika, Asien, Europa und auf der ganzen Welt. Wir sind Menschen, die es überlebt haben, Grenzen zu überqueren auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Bürger*innen in Solidarität, die Menschen, die sich in schwierigen Situationen befinden, begleiten und retten. Wir sind Fischer, Aktivist:innen, Migrant:innen, Akademiker:innen. Wir sind eine große Familie.“

(Aufruf zu dezentralen CommemorActions am 6. Februar 2022)

CommemorAction – eine Kombination aus Trauer und Wut – wurde von Verwandten, Überlebenden und Unterstützer:innen als Aufschrei gegen die anhaltenden rassistischen Morde an den Grenzen entwickelt. Bei CommemorAction geht es ums Erinnern, mit Aktionen, die politische Botschaften und künstlerische Aufführungen verbinden. Aber vor allem geht es darum, die trauernden Angehörigen mit so vielen Menschen wie möglich zu vernetzen, um kollektive Initiativen zu kreieren, um ihre Geschichten und Forderungen bekannt zu machen. Tage der CommemorAction sind Momente des Gedenkens an diese Opfer und des Aufbaus kollektiver Wege, um Familien in ihren Forderungen nach Wahrheit und Gerechtigkeit für ihre Lieben zu unterstützen.

Zehntausende Opfer des Grenzregimes bedeutet Hunderttausende oder sogar Millionen Verwandte und Freund*innen, Eltern und Kinder im globalen Süden, die ihre Angehörigen immer noch vermissen oder nach ihnen suchen. Natürlich unterscheiden sich die Arten, in denen Trauer praktiziert wird, stark. Der Großteil derer, die betroffen sind, werden ihre jeweiligen „Tragödien“ wahrscheinlich in ihren eigenen Netzwerken verarbeiten.

Seit langem sind auch Aktivist*innen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die in Solidarität mit Menschen auf der Flucht aktiv sind, mit dem Tod und Verschwinden von Menschen an Europas Außengrenzen konfrontiert. Dadurch haben sie nicht nur Netzwerke der Solidarität entwickelt, um der tödlichen Gewalt entgegenzuwirken, sondern auch Wege gefunden, um derer zu gedenken, die getötet wurden, verschwunden oder Opfer von Zwangsverschleppungen geworden sind. Seit mehreren Jahren sind diese CommemorActions zu regelmäßigen grenzübergreifenden Ereignissen geworden und haben eine Gemeinschaft an Trauernden entstehen lassen, die ihren Kampf gegen die Gewalt, die Menschen unterwegs getötet oder verschwinden lassen hat, nicht aufgeben.

Der 6. Februar wurde als gemeinsamer Tag gewählt, um auf eine dezentrale Weise und an vielen Orten gleichzeitig zu gedenken. Am 6. Februar 2014 hat die spanische Grenzpolizei mindestens 15 Personen getötet, die versuchten, bei Tarajal die Grenze zu der spanischen Enklave Ceuta zu überqueren. Nach Jahren juristischer Verfahren haben spanische Gerichte die Beamten der Guardia Civil freigesprochen, indem sie entschieden, dass keine Straftat begangen wurde. Das Massaker von Tarajal ist Symbol dessen, was seit nun über 20 Jahren jeden Tag geschieht; Opfer ohne Gerechtigkeit, Gräber ohne Namen, Grenzen ohne Rechte.

Am 6. Februar 2020 haben sich Gruppen von Familien der Verstorbenen, der Vermissten und/oder der Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen in Oujda in Marokko zur ersten CommemorAction getroffen, um Grenzgewalt anzuprangern. Familien aus Marokko, Tunesien, Algerien und Kamerun kamen zusammen. Wir haben entschieden, die CommemorAction jedes Jahr am 6. Februar fortzusetzen, um unseren Schmerz in kollektives Handeln zu verwandeln.

Die Plattform www.missingattheBorders.org sammelt die Stimmen der Familien und gibt ihnen eine Stimme, Würde und die Möglichkeit, ihre Trauer gegenüber ihren Familien und der Welt zu äußern, unter dem Slogan „Menschen statt Zahlen”.

Es ist offensichtlich, dass die Familien, die auf einer transnationalen Ebene in CommemorActions engagiert und organisiert sind, für ein breiteres politisches und soziales Problem stehen, welches Hunderttausende betrifft. Die Familien sind eine bemerkenswerte Kraft aus dem globalen Süden, die den globalen Norden für seine tödliche Grenzgewalt anprangert. Wir begreifen den Kampf gegen Grenzen als zentralen Kampf für gleiche soziale Rechte und deshalb müssen wir die Familien, die sich an CommemorActions beteiligen, als entscheidende Akteur*innen ansehen, die für globale Gerechtigkeit kämpfen.

Das Watch the Med – Alarmphone ist ein transnationales Netzwerk von Aktivist*innen, die seit Oktober 2014 eine 24/7 Notruf-Hotline für Menschen betreiben, die bei ihrer Fahrt übers Mittelmeer Unterstützung brauchen z. B. weil sie in Seenot geraten. Die Aktivist*innen in ca. einem dutzend Ländern nördlich und südlich des Mittelmeers setzen sich für People on the Move ein, indem sie die Küstenwachen informieren und unter öffentlichen Druck setzen sowie auf Menschenrechtsverletzungen und illegale Praktiken des EU-Grenzregimes aufmerksam machen. Das Projekt ist eine ständige direkte Intervention in die tödliche Politik der EU auf dem Mittelmeer und gegen Grenzen als Ausdruck und Teil einer rassistischen, (neo-)kolonialen und kapitalistischen Politik.

Mehr Informationen auf der Website.  Zur Teilnahme an der Aktion siehe den Facebook-Aufruf von Watch the Med – Alarmphone.    

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