09. August: Internationaler Tag der indigenen Bevölkerungen der Welt

Ein Dossier von CPPD-Mitglied Márcia Moser

Der 9. August markiert seit 1994 den internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen. An diesem Datum im Jahr 1982 fand die erste Sitzung der UN-Arbeitsgruppe für indigene Völker, heute Expertenmechanismus für die Rechte indigener Völker, statt. Mit dem Tag soll auf die Lage der weltweit gut 470 Millionen Angehörigen indigener Bevölkerungen in über 90 Ländern auf allen Kontinenten aufmerksam gemacht werden.

Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen zumeist die vielen verschiedenen Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen, denen indigene Gemeinschaften ausgesetzt waren und sind:

Der Verlust der von ihnen bewohnten Gebiete aufgrund von z. T. illegalem Abbau natürlicher Ressourcen in diesen Gebieten (vgl. Rodungen im Amazonasgebiet), Landraub, Zwangsumsiedlungen (vgl. z. B. Umsiedlungen der Maasai in Tansania zur Vergrößerung von Naturparks) und Klimawandel (vgl. z. B. fehlende Weideflächen für das Vieh der Fulani Mbororo im Tschad). Zudem sind eingeschränkter bis fehlender Zugang zu Gesundheitsversorgung (vgl. z. B. fehlende medizinische Grundversorgung in US-amerikanischen Reservaten) und Bildung wie auch die massive Beeinträchtigung der Ausübung, Pflege und Weitergabe von Kultur, Sprache und Religion anzuführen (vgl. z. B. die Zwangsunterbringung von Kindern aus indigenen Gemeinschaften in Internaten zum Zwecke der Christianisierung und Zivilisierung in Kanada, die zumeist mit Missbrauch, Folter und auch Mord von indigenen Kindern einherging).

Um zu umreißen, welche Gemeinschaften zu den indigenen Bevölkerungen zählen, werden in der Regel diese Kriterien angeführt:

  • das Selbstverständnis als indigen auf individueller Ebene und die Anerkennung dieses Selbstverständnisses durch die entsprechende Gemeinschaft
  • die Gemeinschaft lebte bereits an einem Ort, bevor andere hinzuzogen und diesen als den ihrigen beanspruchten
  • die Gemeinschaft besitzt eine eigene Sprache und ein eigenes Glaubens- oder auch Weltdeutungssystem
  • die Gemeinschaft zählt zu den Minderheiten innerhalb eines Staates und besitzt und pflegt kulturelle, politische, soziale und ökonomische Charakteristika in Abgrenzung gegenüber der Dominanzgesellschaft
  • die Gemeinschaft steht in enger Beziehung zu der Region, in der sie lebt, und dem sie umgebenden natürlichen Lebensraum
  • die Gemeinschaften bewahren und pflegen Traditionen ihrer Vorfahren

Entsprechend der Diversität der indigenen Gruppen sind nicht alle Kriterien in gleicher Weise relevant oder überhaupt prägend für alle Gemeinschaften. So kann im Falle Boliviens und Guatemalas zahlenmäßig z. B. kaum von indigenen Minderheiten gesprochen werden.

Dabei ist indigen in erster Linie eine Differenzkategorie, die unauflöslich verwoben ist mit der Gewaltgeschichte des Kolonialismus bzw. durch diese erst hervorgebracht wurde:

„To conflate vastly distinct peoples in a homogenizing legal status was an act of colonial governance (…). The term refers to a historical process rather than an essential nature. Indigenousness refers less to a constitutive who/what than to the otherness implied by it.

(Manuela L. Picq (2017): Indigenous Politics of Resistance: An Introduction. In: New Diversities vol. 19, No. 2, S. 1-6, hier S. 1)

Entsprechend sind auch Fach- und populärwissenschaftliches Wissen über indigene Bevölkerungen wie auch mediale, künstlerische, kulturelle und politische Repräsentationen bis heute stark geprägt von nicht-indigenen Fremddefinitionen und Perspektiven. Ein Großteil dieser Wissensproduktionen über und Fremdrepräsentationen von indigenen Bevölkerungen bewegen sich zwischen entmenschlichender Abwertung und romantisierender Aneignung.

Auf politischer Ebene sind die Beziehungen zwischen indigenen Bevölkerungen und staatlichen Organen auch gegenwärtig hochkomplex und -problematisch. Das zeigen Diskussionen innerhalb indigener Gemeinschaften z. B. zu der Frage, welchen Zweck es hat, an Wahlen und damit am dominanten, politischen System des jeweiligen Staates teilzuhaben; oder auch inwiefern Perspektiven indigener Gemeinschaften in jeweilige Verfassungen eingeschrieben werden und diese damit im Umkehrschluss Anerkennung durch Indigene erhalten sollen. Wie können einerseits alle Chancen auf bessere Lebensumstände und Ansprüche auf Rechte und Teilhabe möglichst ausgeschöpft werden? Und andererseits eine umfassende Wahrung der eigenen Gemeinschaft und klare Distinktion von der dominanten Gesellschaft gepflegt werden?

Entsprechend vielseitig sind die Formen des Widerstands, die von juristischen Kämpfen zu Programmen zur Wiederbelebung von Sprachen zu öffentlichen Protesten reichen. Bei aller Pluralität sind alle Widerstandsformen lokal ausgerichtet, wenn sie auch immer wieder unter Einbindung internationaler NGOs arbeiten. Die Widerstände dauern an und zeigen damit die Kontinuität der Enteignung und Entrechtung von indigenen Gemeinschaften auf: Kolonisierung ist ein System, kein zeitlich begrenztes Ereignis, wie die Settler Colonial Studies aufgezeigt haben. Ein System, dessen Macht und Dominanz sich in der Gründung von Nationalstaaten niederschlug und sich in seiner weiterhin fortbestehenden Sicherung manifestiert.

 Die Existenz indigener Gemeinschaften und ihr Anspruch auf Anerkennung und Selbstbestimmung stellt dieses System grundlegend in Frage. Das beinhaltet auch die Infragestellung der Gegebenheit, der Unausweichlichkeit, der Notwendigkeit von Nationalstaatlichkeit:

To be Indigenous means that the project of the nation-state did not triumph […], that there is not one single territory, not one single language, not one single citizenship.“ (Gladys Tzul-Tzul, zititert nach Manuela L. Picq (2017): Indigenous Politics of Resistance: An Introduction. In: New Diversities vol. 19, No. 2, S. 1-6, hier S. 1)

Die Sprengkraft indigener Kämpfe geht weit über Klimakrise, Energiewende und Nachhaltigkeit hinaus.

Um die Rechte indigener Gemeinschaften einzuschränken und zu beschneiden kam und kommt es immer wieder dazu, dass sie als nicht-mehr existent erklärt wurden und werden, wie z. B. durch eine so genannte Declaration of Termination im US-amerikanischen Kontext oder auch die Erklärung von Mayas als weiße Bevölkerung per Dekret durch die guatemaltekische Administration. Das Erinnern an die Geschichte indigener Bevölkerungen muss zukunftsgewandt sein, denn sie wurden schon zu oft für tot erklärt.

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