8. April – Internationaler Roma*-Tag

Ein Beitrag von CPPD-Mitglied Gianni Jovanovic und Gastautorin Amrita Jakupi

(c) RomaTrail e.V. / Künstler: Damian Le Bas

Etwa eine halbe Million Rom*nja und Sinti*zze wurden wurden während des Nationalsozialismus ermordet. Jahrzehntelang wurde dieser Genozid nicht anerkannt. Deutschland ignorierte die Geschichte und wehrte sich gegen eine Aufarbeitung. Doch mindestens genauso energisch kämpften Aktivist*innen aus der Community der Rom*nja und Sinti*zze gegen das Vergessen. Ihnen ist es zu verdanken, dass 1971 der erste Welt-Roma-Kongress in London organisiert wurde. Seitdem markiert der 8. April einen Meilenstein in der Emanzipationsbewegung von Sinti*zze und Rom*nja. Hunderttausende Menschen demonstrieren am Internationalen Roma* Day für ihre Rechte oder solidarisieren sich mit der Gemeinschaft.

Heute feiern wir unsere Geschichte und unsere Gegenwart. Wir stehen auf für unsere Sichtbarkeit. Heute zeigen wir allen, dass wir hier sind. Wir stärken einander und teilen, was wir haben, damit wir gemeinsam heilen. Wir stehen ein für unsere Autonomie und schämen uns nicht für unsere Emotionen: Angst, Schmerz, Freude, Liebe – wir leben all unsere Gefühle. Wir wachsen an unseren Traumata und darüber hinaus.

Auch individuelle Perspektiven und Lebensrealitäten anerkennen

Wir zeigen jedem Mitglied unser Gemeinschaft Wertschätzung, indem wir auch individuelle Perspektiven und Lebensrealitäten anerkennen. Wir geben den Menschen in unserer Gemeinschaft Unterstützung und Freiraum. Als Community schaffen wir den schützenden Raum, in dem Menschen sich entfalten können. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob sie eine Behinderung haben oder nicht, welches Geschlecht sie haben oder wen sie lieben. Wenn wir als Sinti*zze und Rom*nja achtsam miteinander sind, ist das der Schlüssel zur Selbstfürsorge. Community-Care bedeutet Self-Care – und umgekehrt. Wer sich um sich selbst kümmert, hat auch die Kraft, um fürs Kollektiv zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Self-Care ist in unterdrückten Gemeinschaften wie der unsrigen nicht nur ein echter Akt des Widerstandes, sie ist auch ein Dienst an der Gemeinschaft.

Wir sind eine kleine Mehrheit und in uns steckt viel Kraft!

Sinti*zze und Rom*nja werden immer wieder als Minderheit bezeichnet. Es ist ein Versuch, der Mehrheitsgesellschaft, uns herunterzumachen und klein zu halten. Es ist ein System, das Minderwertigkeitskomplexe schürt und uns von Ressourcen fernhält. Dieses System nährt sich von Ausbeutung, Rassismus, Hierarchisierung, Machtmissbrauch und Vernichtung. Deshalb müssen wir uns selbst immer wieder bewusst machen: Wir sind handlungsfähig und unsere Stimmen zählen. Wir sind nicht weniger wert als andere oder handlungsunfähig, so wie es der Begriff der Minderheit suggeriert. Durch unsere Selbstbestimmtheit schaffen wir ein neues Narrativ. Wir sind eine kleine Mehrheit und in uns steckt viel Kraft.

Wir stehen hier und repräsentieren inter- und transkulturelle Communitys. Wir haben viele unterschiedliche Diskriminierungsformen erlebt, Leid ertragen und ausgehalten. Damit sind wir nicht alleine. Wir sind viele. Wir sind nicht nur starke Individueen sondern auch Mitglieder einer starken Gemeinschaft. Doch die dominante Mehrheitsgesellschaft versucht uns zu spalten, abzustufen und abzulenken, damit wir uns gegenseitig sabotieren. Das lassen wir niemals zu! Wir leiten einen Paradigmenwechsel ein und durchbrechen den Kreislauf von jahrhundertelanger Gewalt.

Wir brauchen in allen gesellschaftlichen Bereichen echte Repräsentation unserer Communities

Wir müssen über die transgenerationalen Aspekte von Trauma sprechen. Im Zuge dessen reden wir über uns, die Menschen, die Nachfahren von Überlebenden sind. Die meisten Opfer von kollektiver Gewalt leben nicht mehr. Sie haben eine Leere in uns hinterlassen, die wir anerkennen und mitdenken müssen. Zu viele unserer Angehörigen können nicht mehr von ihren Erfahrungen berichten. Ihr Wissen vermissen wir schmerzlich. Damit Sinti*zze und Rom*nja transgenerationale Traumata verarbeiten können, die durch Gewalt, Verfolgung und Vernichtung entstanden sind, brauchen wir sichere Räume.

Wir brauchen und fordern ein nationales, politisches und soziales Umfeld, in dem wir selbstbestimmt leben und heilen können. Was das im Klartext bedeutet? Wir brauchen in allen gesellschaftlichen Bereichen echte Repräsentation unserer Communities. Sinti*zze und Rom*nja müssen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt sein und Entscheidungen mittreffen können. Sie gehören als Lernende und Lehrende in Schulen. Sie brauchen Arbeit in Ämtern, in der freien Wirtschaft und in Medien. Sie müssen die gleichen Chancen auf ein angenehmes Wohnumfeld haben wir alle anderen auch. Sie müssen sich in Jugendzentren, Sportvereinen, Kirchengemeinden oder anderen Treffpunkten wohl fühlen können.

Wir müssen den Dialog zwischen den Generationen fördern

Auch innerhalb unserer Gemeinschaft stehen wir vor einer großen Herausforderung. Dort wo möglich, müssen wir den Dialog zwischen den Generationen fördern, denn er bietet große Heilungspotenziale. Unsere vielen Traumata belasten unsere Ressourcen, trotzdem ist Heilung für Individuen in unseren Gemeinschaften möglich und wichtig. Sinti*zze und Rom*nja profitieren von einem großen Erfahrungsschatz, wenn es darum geht, Altes hinter sich zu lassen und neue Wege zu finden. Indem jede*r Einzelne von uns individuell beginnt zu heilen, schaffen wir es, den Schleier der weißen Vorherrschaft gemeinschaftlich zu lüften. Auch wir selbst haben leider rassistische Ideen verinnerlicht, so wurden wir alle sozialisiert. Reden wir darüber! Wir müssen unser Schweigen brechen, denn nur so dekonstruieren wir die rassistischen, gewaltvollen und verkrusteten Strukturen, unter denen wir leiden. Wir werden reden aber die Dominanzgesellschaft muss uns zuhören und sich verändern. Denn durch Rassismus und Diskriminierung wurden Sinti*zze und Rom*nja in allen Lebensbereichen dauerhaft entrechtet und benachteiligt. Sie mussten in ständiger Angst leben und das führte zu kollektiven, zunehmenden Traumata.

Sinti*zze und Rom*nja werden weltweit immer noch ausgegrenzt und stigmatisiert

Die Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja ist reich aber in der sozio-kulturellen und medizinischen Betrachtung wurde sie im Laufe der Zeit deformiert und ausradiert. Sinti*zze und Rom*nja wurden exotisiert und kriminalisiert. Komplexe Traumata resultierten unter anderem aus der Gewalt, die unsere Gemeinschaften im Nationalsozialismus erlebt haben. Doch bis heute erfahren sie in Europa Unterdrückung. Sie erleben Abschiebung, Zwangsräumungen und leiden häufig unter einem unsicheren Bleiberecht. Diese gewaltvollen Methoden und Mechanismen sind retraumatisierend und entmenschlichend. Schließlich wurden vor beinahe 80 Jahren fast eine halbe Million Sinti*zze und Rom*nja während des Porajomas vernichtet. Überlebende, Angehörige oder Nachfahren der Opfer werden aber noch immer systematisch ausgegrenzt. In Deutschland und weltweit werden Sinti*zze und Rom*nja entweder kriminalisiert oder anderweitig zu einer Problemgruppe stilisiert. Dadurch werden Romaphobie und Gadjé-Rassismus legitimiert und Rom*nja und Sinti*zze unfreiwillig unsichtbar gemacht.

Wir stehen heute hier, um das zu ändern. Heute feiern wir unsere Gegenwart und Zukunft!

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˝The programme makes possible something that is all too rare in our society these days: speaking and having discussions across borders, not about each other, but with each other. That can be a hard slog at times, but at the same time the format makes space for follow-up questions and deeper conversations that are only possible through trust on all sides.

Felix, DialoguePerspectives alumnus

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