20.12.1955: Anwerbeabkommen zwischen Italien und Deutschland

Ein Dossier von CPPD-Mitglied Darija Davidović

Am 20.12.1955 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien unterzeichnet und somit der Grundstein für Deutschland als Einwanderungsland gelegt. Das bilaterale Abkommen unterzeichneten Bundesarbeitsminister Anton Storch (CDU) trotz heftigem Widerstand aus der eigenen Partei sowie der italienische Außenminister Gaetano Martino, der Mitglied der Partito Liberale Italiano (PLI) gewesen war. Auf den Vertragsabschluss bereitete sich Italien aufgrund der eigenen wirtschaftlichen Lage bereits ab 1950 vor. Insbesondere Arbeiter*innen aus dem Süden Italiens wurden angeworben, um in Deutschland zu arbeiten, da trotz Förderprogrammen aus Rom der Süden wirtschaftlich nicht gestärkt werden konnte. Aufgrund von Armut und geringen Bildungsmöglichkeiten sahen sich daher viele Menschen gezwungen, insbesondere den Süden Italiens zu verlassen. Die italienische Regierung hingegen sah im Anwerbeabkommen mit Deutschland eine Möglichkeit die steigende Arbeitslosigkeit des Landes zu verringern und durch Devisen die Wirtschaft zu stärken.

Italienische Gewerkschaften gelang es, im deutsch-italienischen Abkommen bedeutende Forderungen vertraglich festzulegen. Neben einer sozialpolitischen und tariflichen Gleichstellung der Arbeiter*innen, sollte auch eine angemessene Unterkunft zugesichert werden. Ziel der Gewerkschaften war es, einer Ausbeutung der italienischen Arbeiter*innen somit gesetzlich entgegenzuwirken. Die Verträge wurden zunächst auf ein Jahr angelegt und je nach Bedarf der Fabriken verlängert. Ein Rotationsprinzip im Anwerbeabkommen reglementierte die Arbeitsmigration nach Deutschland: nach Ablauf einer festgelegten Aufenthaltsfrist sollten die Arbeiter*innen wieder nach Italien zurückkehren. Die Arbeiter*innen wurden daher als „Gastarbeiter*innen“ bezeichnet. Im Jahr 1956 kamen um die 12.000 Arbeiter*innen nach Deutschland. In den darauffolgenden Jahren jeweils weitere 20.000. Viele von ihnen kehrten jedoch nicht nach Italien zurück, sondern holten ihre Familien nach Deutschland.

Auch wenn das bilaterale Abkommen zwischen Italien und Deutschland anfänglich mit Euphorie bedacht wurde, waren italienische Arbeiter*innen Rassismus und Ausgrenzung ausgesetzt: Am Eingang zahlreicher Gaststätten und Restaurants in Deutschland prangten Schilder mit der Aufschrift „Kein Eintritt für Hunde und Italiener“ oder „Kein Zutritt für Italiener“. Deutsche Arbeiter verlangten indes, dass ihren italienischen Kollegen Tanzlokale verweht blieben, woraufhin einige der Firmen und Fabriken eigens für italienische Männer Tanzhallen errichteten. Eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit führte schließlich dazu, dass italienischen Arbeiter*innen ausgegrenzt und Ressentiments geschürt wurden.

Arbeiter*innen aus Italien bleiben in gegenwärtigen Debatten über Gastarbeiter*innen und ihre Geschichten häufig außenvor. Dass sie ebenfalls Rassismus und Ausgrenzung so wie Gastarbeiter*innen aus anderen Ländern erfahren haben, ist durch eine Romantisierung Italiens zunehmend in Vergessenheit geraten. Für Viele stellte die Migration nach Deutschland jedoch auch eine Möglichkeit dar, sich weiterzubilden, schreiben und lesen zu lernen und sich und ihren Familien ein Leben in besseren Verhältnissen zu ermöglichen.

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˝The programme makes possible something that is all too rare in our society these days: speaking and having discussions across borders, not about each other, but with each other. That can be a hard slog at times, but at the same time the format makes space for follow-up questions and deeper conversations that are only possible through trust on all sides.

Felix, DialoguePerspectives alumnus

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